Bindung fördert Resilienz

Beitrag von Nicola Genz, Diplomierte Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin

Scharfe Kanten, Steckdosen oder Herdoberflächen – Kinder müssen erst lernen, mit alltäglichen Gefahrenquellen umzugehen. Aber auch innere Sicherheit und Selbstvertrauen entwickeln Kinder nicht von alleine. Im Innen genauso wie im Außen spielt Sicherheit für die gesunde Entwicklung von Kindern eine entscheidende Rolle. Bereits Babys haben das Bedürfnis nach Bindung ebenso wie danach, ihre Umgebung zu erkunden. Eine zuverlässige Bindungsperson erkennt, welches der beiden Bedürfnisse gerade im Vordergrund steht und reagiert adäquat. So können auch sehr kleine Kinder ein Gefühl dafür entwickeln, dass sie “ wichtig und richtig“ sind – dass es für sie immer einen sicheren Hafen gibt, von dem aus sie zur Welterkundung starten können. Diese Sicherheit macht Kinder mutig und gibt ihnen Selbstvertrauen. 

Sicherheit macht Kinder mutig

Bindung fördert Resilienz

Innere Sicherheit entwickeln Kinder in der engen emotionalen Beziehung zu Bezugspersonen, die bei Stress, Angst und Trennung Schutz und Halt geben. So entsteht ein festes Fundament, auf dem Kinder zu belastungs- und beziehungsfähigen Menschen heranwachsen können, die sich Hilfe holen, wenn sie diese brauchen, die team- und beziehungsfähig sind. Sie werden resilient, das heißt, sie haben eine Strategie verinnerlicht, nach der es für jedes Problem eine Lösung gibt.

So wichtig wie der Fahrradhelm

Genauso wichtig wie ein Fallschutzgitter oder der Fahrradhelm zur Vermeidung von (äußeren) Verletzungen unserer Kinder ist also die Fähigkeit einer Bindungsperson, die Bedürfnisse und Signale des Kindes wahrzunehmen und angemessen zu reagieren. Auch ein kleiner Schreck oder Schmerz soll als Gefühl gewürdigt werden und erst im zweiten Schritt ist Beruhigung und vielleicht auch Trost vonnöten.

Weinen anerkennen

Auf dem Spielplatz sind viele solcher Situationen zu beobachten: Zum Beispiel hat ein Kind sichtlich Spaß am Schaukeln. Plötzlich fällt es nach einer ungeschickten Bewegung beinahe hinunter – auch nur beinahe, denn es konnte die Bewegung gerade noch austarieren und den Sturz abwenden. Trotzdem: Das Kind hat sich erschreckt und weint. Viele gutmeinende Betreuungspersonen werden das Kind trösten und das Weinen stoppen wollen, indem sie etwas sagen wie: „Es ist doch nichts passiert … “ Doch das stimmt nicht! Denn in der Welt des Kindes ist sehr wohl etwas geschehen. Zuallererst sollte deshalb mit Verständnis reagiert und dem Kind gezeigt werden, dass sein Gefühl und sein Weinen richtig sind. In der Fachwelt wird diese Reaktion sehr passend „Spiegeln“ genannt. Erst im zweiten Schritt ist es dann unsere Aufgabe, das Kind zu trösten und zu beruhigen.

OBACHT - Damit ich sicher aufwachse

 

Gefühle spiegeln

Eine feinfühlige Bindungsperson achtet also darauf, beim Baby oder Kleinkind wahrzunehmen, diese richtig zu interpretieren sowie prompt und passend darauf zu reagieren. Zuerst gilt es, das Gefühl zu würdigen und die Emotion zu spiegeln anstatt mit Aussagen wie „ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder „war doch nicht so schlimm“ vermeintlich Trost zu spenden. 

Wer kann Schutz geben?

Babys können zu mehreren Personen einen Bindung aufbauen. Trotzdem verkörpert immer nur eine Person die wichtigste Bindungsperson für das Kind. Dies ist in den allermeisten Fällen jene Person, die das Kind überwiegend versorgt. Ist diese Bindungsperson für das Baby gerade nicht verfügbar (beispielsweise wenn ausnahmsweise der Papa das Baby ins Bett bringt, obwohl das bisher immer die Mama gemacht hat), ist mit Widerstand zu rechnen. Es schadet dem Baby nicht, wenn eine andere als die primäre Bindungsperson Sicherheit und Schutz bietet – auch wenn es länger dauert. Mit der Zeit und wiederholten Erfahrungen wird es leichter. Wichtig ist, dass wir die Babys in schwierigen Situationen nicht allein lassen.

 

Unsere eigene Kindheit prägt

Unsere eigene Kindheitsgeschichte und die Erfahrung, wie Erwachsene damals auf unsere Gefühle reagiert haben, bilden die Basis dafür, wie wir die Gefühle unserer Kinder erleben. Haben wir zum Beispiel als Kind die Erfahrung gemacht, dass der Ausdruck von schwierigen Gefühlen wie Wut, Trotz oder Angst ignoriert oder bestraft wurde, fehlt uns ein (Vor-)Bild dafür, wie wir nun mit den herausfordernden Gefühlen unserer Kinder umgehen können.

Trigger verhindern Feinfühligkeit

Die Kompetenz im Umgang mit den Emotionen unserer Kinder ist häufig geprägt von den Erfahrungen mit den eigenen Eltern. Die sogenannten „Trigger“ sind Erinnerungen an die Zeit von „dort und damals“. Ausgelöst wird diese Erinnerung durch eine emotional belastende Situation, die wir aus der eigenen Kindheit kennen. Unsere Fähigkeit, in Resonanz mit den Bedürfnissen unserer Kinder zu gehen, ist dadurch vermindert. Dann ist es hilfreich, über die eigene Kindheitserfahrung nachzudenken, sie zu reflektieren, zu sortieren. Die „Geister der Vergangenheit“ zu benennen, kann uns wieder die Fähigkeit geben, feinfühlig auf die Bedürfnisse unserer Kinder im Hier und Jetzt zu reagieren.

Emotionen verdienen Aufmerksamkeit

So wie äußere Verletzungen Narben hinterlassen können, wirkt sich wenig feinfühliges Elternveralten auf die psychische Verfassung eines jeden Menschen aus. Es hat einen direkten Einfluss auf unser (Er)Leben und unsere Beziehungsfähigkeit. Wäre es nicht eine Bereicherung, wenn wir zulassen würden, dass unsere Gefühle – jene unserer Kinder genauso wie unsere eigenen – wichtig sind und Aufmerksamkeit verdienen?

 

Über die Autorin:

Nicola Genz

Diplomierte Sozialarbeiterin und Psychotherapeutin bei Netzwerk Familie, einem Kooperationsangebot des Vorarlberg Kinderdorfe mit der aks Gesundheit und den Vorarlberger Kinder- und Jugendärzten. Netzwerk Familie unterstütz Eltern bereits während der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr des Kindes.

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